Erste Nachbarn in Schönwalde

Sie waren angekündigt. Eine besorgte Stimme, wie die Zeitung am darauffolgenden Tage schrieb, war unüberhörbar: „Wird ihnen auch beigebracht, sich zu benehmen und keine fremden Grundstücke zu betreten?“ „Selbstverständlich“, sagte Stefan Kirchner von den Johannitern, die das Schullandheim für vier Monate betreiben werden. „Einige Mitarbeiter sprechen sogar arabisch“, fügte er hinzu.

Sachlicher konnte die erste Information nicht sein; aber hat sie beruhigt?

Kommen zwei Personen zusammen, ist nicht einer ein Fremder, sondern beide sind sie Fremde, und sie begegnen einander natürlicherweise mit ihren Kulturen, ihren Eigenarten, vielleicht auch mit ihren Ängsten und manchmal auch mit ihren Vorurteilen. Oder doch oft?

Wenn wir verreisen, staunend die fremde Welt wahrnehmen, ja, mitunter gerade das Neuartige suchend, um zu Hause vom Erlebten zu berichten, dann sammeln wir Eindrücke wie einer, der Pilze sucht in einem unbekannten Waldstück. Die Welt sammelnd wahrzunehmen, nicht zählend. Als Flüchtlingskind in Thüringen sah ich staunend runde Kuchenbleche, die die Frauen auf dem Kopf tragend zum Bäcker brachten. Und im Sudetengau hörte ich erstmals, dass man zu einer kurzen Straße auch „Gasse“ sagen konnte. Die Welt sammelnd wahrzunehmen, nicht zählend – wäre mein Wunsch. Nach dem Fall der Mauer sind viele Menschen nach Schönwalde gekommen, haben gebaut, sind Mitbürger geworden. Sind wir nicht alle Fremde, die das Fremde allmählich verloren haben?

Die türkische Schriftstellerin Sema Kaygusuz schrieb: „Seine eigene Zivilisation als einer fremden überlegen zu definieren, bedeutet, sich einem altbekannten Albtraum hinzugeben.“

Seiring

Schönwalde, den 06.11.2015